Skeptiker 03-3 Cover

Skeptiker 03-3

Grander Wasser-Behandlung, Anomalistik in Spiegel und Bild
44 Seiten. Counter page views.
Herausgegeben von der GWUP Logo

Skeptiker 03-3 Inhaltsverzeichnis
Editorial: Geister in der Orgel und in der ZeitungStephan Matthiesen und Inge Hüsgen
Thema
Grenzgebiete im Blick: Berichterstattung aus dem Bereich der Anomalistik in Spiegel und BildGerhard Mayer
Oberflächenspannungsänderung durch Grander-Belebung nicht bestätigtMarko Heckel und Peter Heinig
Berichte
Cold Reading - Wahrsagen, ganz ohne okkulte Kräfte: Ein Seminar mit Ray HymanInge Hüsgen
Blender, Täuscher, Scharlatane: Das 40. Symposium der Gesellschaft für WissenschaftsgeschichteInge Hüsgen
Wer denken will, muss fühlen - Gehirn und Emotion: 6. Symposium Turm der Sinne, Nürnberg, 10.-12.10.2003Inge Hüsgen
Aberglaube - alt und neu: 13. GWUP-Konferenz, Darmstadt, 13.-14.6.2003Stephan Matthiesen und Inge Hüsgen
Panorama
Buchkritik
Kippenberg, Hans G.; von Stuckrad, Kocku: Einführung in die ReligionswissenschaftInken Pohl
Magazin
Druckerschwärze und SternenstaubBernd Harder

Editorial: Geister in der Orgel und in der Zeitung

"Sind Geister nur tiefe Töne?", ging es vor kurzem durch die Presse. Forscher hatten entdeckt, dass unhörbar tiefe Töne unangenehme Gefühle verursachen – und manche alten Gemäuer können wie extrem tiefe Orgelpfeifen wirken (siehe auch S. 113). Eine schöne naturalistische Erklärung für ein paranormales Phänomen, nun wissen wir endlich, was an Geistern dran ist – nichts als tiefe Töne!

Doch "Halt!" werden Sie als skeptische Skeptiker-Leser ausrufen: Entsteht wirklich jeder Spuk auf diese Weise? Gibt es nicht andere Erklärungsmöglichkeiten, die je nach Einzelfall eine Rolle spielen? Und hieß es nicht vor kurzem, dass Spuk nichts anderes als der Effekt eines kalten Luftzuges sei, während letztes Jahr Dopamin im Gehirn als die Erklärung für anomalistische Erfahrungen gehandelt wurde?

Zweifellos, die Infraschall-Studie erforscht einen interessanten, neuen Aspekt der menschlichen Wahrnehmung, der bisher kaum Beachtung fand. Zur Erklärung von Spukberichten ist dies Ergebnis jedoch zunächst nur eine Hypothese, die dann im konkreten Einzelfall zusammen mit anderen Hypothesen bedacht und letztlich bewiesen werden muss: Fand die konkrete Erfahrung wirklich in einer Umgebung mit tiefen Tönen statt? Und lassen sich tatsächlich alle Elemente eines Erfahrungsberichtes darauf zurückführen, etwa wenn Personen nicht nur ein mulmiges Gefühl, sondern auch Erscheinungen berichten, oder muss man andere Hypothesen überprüfen? Und vielleicht sogar manche Aspekte (vorläufig) unerklärt lassen? Ja, wird nicht die Interpretation von außergewöhnlichen Wahrnehmungen als Spuk auch essenziell von kulturellen Prägungen und der individuellen Persönlichkeit bestimmt?

All diese Fragen stellen die Medien nicht, sondern vermitteln den Eindruck, das generelle Phänomen "Spuk" sei nun erklärt. Als Wissenschaftler kann man mit dieser Art der Wissenspopularisierung nicht völlig zufrieden sein – Wissenschaftler sind neugierig und geben sich selten mit einer monokausalen Erklärung zufrieden, gerade wenn sie einfach und einleuchtend erscheint. Die Komplexität der Welt sollte auch in der Popularisierung von Wissenschaft reflektiert werden.

Daher ist es interessant, sich die Medien-Berichterstattung über anomalistische Phänomene genauer und kritischer anzusehen. Dabei kann gerade dann Skepsis angebracht sein, wenn eine naturalistische Erklärung favorisiert wird. Zwar werden die meisten Wissenschaftler naturalistische gegenüber übernatürlichen Erklärungen bevorzugen, doch nicht jede beliebige naturalistische Erklärung passt auf jedes konkrete Phänomen – und man darf als skeptischer Wissenschaftler nicht den allzu menschlichen Fehler begehen, in der Begeisterung für eine naturalistische Erklärung (z. B. tiefe Töne) für ein "übersinnliches" Phänomen (Geister) jegliche Skepsis gegenüber dieser Erklärung über Bord zu werfen.

Der Wunsch nach naturalistischen Erklärungen für paranormale Phänomene kann, wenn man nicht selbstkritisch bleibt, zu weiteren Denk- und Argumentationsfehlern führen. So etwa der Fehler, nicht die eigentlichen Belege für oder gegen eine Behauptung kritisch zu untersuchen, sondern die Vertreter der Behauptung oder ihr Umfeld persönlich (etwa aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit) unter Beschuss zu nehmen, selbst wenn dies für die Beurteilung der Sache gar keine Rolle spielt.

Doch trotz mancher martialischer Töne, die mitunter bei den US-amerikanischen Skeptikern, aber auch in Europa zu hören sind, herrscht kein Krieg gegen den übermächtigen Feind des Irrationalismus, in dem jede Waffe und jede Taktik erlaubt sind, um Scharlatane zu entlarven und "der Hydra den Kopf abzuschlagen". Eine sachliche Auseinandersetzung ist aus (mindestens) zwei Gründen empfehlenswert.

Der erste Grund ist taktischer Natur. Wer wild mit Feuer und Schwert auszieht, um der Hydra den Kopf abzuschlagen und unwissende Verblendete aus ihren Fängen zu befreien, riskiert, dass diese sich selbst angegriffen und bedroht fühlen und keineswegs den Befreiern zujubeln, sondern sich verteidigen: Eine unsachliche Argumentation erzeugt kein Verständnis, sondern Abwehr.

Der zweite, wichtigere Grund ist inhaltlich. Wer wild mit Feuer und Schwert auszieht, um der Hydra den Kopf abzuschlagen und unwissende Verblendete aus ihre Fängen zu befreien, merkt nicht, dass er oft kein Monster vor sich hat, sondern ein zwar exotisches, aber harmloses Wesen, das von freien Menschen aus nachvollziehbaren Gründen geehrt wird, und dessen Studium sehr interessant sein könnte. Wissenschaftler streben nach Erkenntnis, und auch aus Ungewöhnlichem kann man mitunter viel lernen. Daher gehört zum wissenschaftlichen Denken das Bemühen, andere Positionen nicht pauschal abzulehnen, sondern ernsthaft zu verstehen. Vielleicht hätte man auch weniger über die Wirkung tiefer Töne gelernt, wenn man jegliche Spukerfahrung pauschal als Spinnerei abgetan hätte?

Nicht nur in der griechischen Mythologie ist es vorteilhaft, beim gewaltsamen Abschlagen von Hydra-Köpfen vorsichtig zu sein, und statt dessen auf eine undogmatische, sachbezogene Argumentation zu setzen – sowohl aus Respekt für den Diskurspartner als auch für die eigene Erkenntnis.

Es sollte daher nachdenklich machen, wenn gerade Medien, die ein rationales, naturalistisches Weltbild vertreten, Diskursstrategien verfolgen, die einer rationalen Auseinandersetzung mit der Sache nicht dienlich, sondern eher hinderlich sind. Die Daten und Textbeispiele, die Gerhard Mayer in seinem Artikel auf S. 84 vorstellt, können daher ein Anlass sein, den Umgang von Medien mit dem Paranormalen kritisch zu hinterfragen.

Stephan Matthiesen und Inge Hüsgen

Danke für Ihr Interesse!