Skeptiker 04-1 Cover

Skeptiker 04-1

40 Seiten. Counter page views.
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Skeptiker 04-1 Inhaltsverzeichnis
Editorial: Schamanen mit KrawatteInge Hüsgen
Thema
Wozu sind Meme gut? Eine Kritik memetischer Ansätze zum Verständnis der InformationsverarbeitungJames W. Polichak
Schamanismus in traditionellen KulturenKlaus E. Müller
Forum
Zur Behandlung kontroverser Themen in Spiegel und Bild: Bedauerliche Missverständnisse? Replik auf den Kommentar von Hell, Sarma und WolfGerhard Mayer
Wolfgang Hell, Amardeo Sarma und Rainer Wolf antworten
Panorama
Buchkritik
Blackmore, Susan: Die Macht der MemeRouven Schäfer
Schoch, Robert M.; McNally, Robert A.: Die Weltreisen der PyramidenbauerKlaus Richter
Schwertfeger, Bärbel: Die Bluff GesellschaftRouven Schäfer
Magazin
"Dimension PSI": Total paranormal? Ein Gespräch mit Martin Lambeck und Andreas HergovichRouven Schäfer
Blut-Spuren: Der Fall Therese von Konnersreuth - eine aktuelle forensische UntersuchungDr. Mark Benecke

Editorial: Schamanen mit Krawatte

Sie kommen aus einer fremden Welt, und doch geistern sie allerorten durch die Sortimente der Buchläden und die Volkshochschulprogramme. Die Schamanen, in indigenen Kulturen Mittler zwischen der Geister- und der Menschenwelt, sind im Westen angekommen, vielleicht die ungewöhnlichste Reise dieser Grenzwanderer.

Als „moderner Schamane“ der Kunstszene gilt der niederrheinische Künstler Joseph Beuys. Er polarisierte die Öffentlichkeit nicht nur durch seine Arbeiten, sondern auch mit kontroversen Ideen: Als Galionsfigur der frühen Umweltbewegung betrachtete er das naturwissenschaftliche Weltbild als ausweglos. Während andere Naturschützer durchaus wissenschaftlich argumentierten, vertrat er einen Gegenentwurf zur Moderne, die Vision einer zukünftigen Einheit von Natur, Kunst und Politik. Für den Kunsthistoriker Udo Kultermann ist Beuys damit keine Ausnahme. Er betrachtet vielmehr den Künstler schlechthin als Schamanen der modernen Welt. Beide, so Kultermann, handeln durch Selbstaufgabe, durch ein Opfer an die Gesellschaft (Kultermann, Udo: Leben und Kunst. Wasmuth, Tübingen 1970).

Dennoch zeigen sich viele Unterschiede zu Schamanen in traditionellen Kulturen, wie sie Klaus Müller in unserem Heft beschreibt (S. 13-18). Künstlerpersönlichkeiten haben den Status von Prominenten, ihre Arbeiten erzielen hohe Preise auf dem Markt. Bei näherem Hinsehen bekommt diese Situation eine äußerst profane Dynamik: Künstler werden zu „Marken“, ähnlich, wie Henry Jenkins es in Berufung auf Michel Foucault für Autoren festgestellt hat.

Weshalb ist der Schamane dennoch eine so attraktive Identifikationsfigur - nicht nur für Künstler? Von „faszinierender Unvernunft“ sprechen die Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg und Kocku von Stuckrad, wenn sie den Werdegang des modernen Schamanismus Revue passieren lassen (Kippenberg, Stuckrad: Einführung in die Religionswissenschaft, C. H. Beck, München 2003). Denn schon die frühen Berichte über sibirische Schamanen konstruierten die fremde Praktik als Gegenbild zum zivilisierten Leben.

Dabei ist es bis heute geblieben. Hatte der Religionswissenschaftler Mircea Eliade den Schamanen als „Trance-Spezialisten“ charakterisiert, machte in den 60er Jahren Carlos Castaneda das Konzept für ein breites Publikum attraktiv. Neben der materiellen Wirklichkeit gibt es eine andere, metaphysische Welt, wollte Castaneda von dem Yaqui-Schamanen Don Juan erfahren haben, und wir alle können sie erfahren, wenn wir nur unser westliches Denken abschütteln.

Zur gleichen Zeit aber wurde das Konzept des Schamanismus selbst westlichen Bedürfnissen angepasst. Indem seine Anhänger besonderen Wert auf eine animistische Sakralisierung der Natur legten, aber andere Merkmale des traditionellen schamanischen Weltbildes, wie die Idee übelwollender Geistmächte, ausblendeten, hoben sie die moderne Trennung zwischen transzendenter und materialer Welt auf. Damit schufen sie einen attraktiven Gegenentwurf zum herrschenden Weltbild.

Solch eine Entwicklung wurde schon von Max Weber in einem dialektischen Szenario umrissen. Demnach bringt die Rationalisierung des Weltbildes ganz unausweichlich neue, spirituelle Ansätze mit sich. Denn die „Entzauberung“ der Welt durch rationalistische Wissenschaft reißt Lücken in der Sinngebung auf und schafft auf diese Weise erst die Voraussetzung für neue Vorstellung des Transzendenten. Demnach würden moderne schamanische und neo-pagane Vorstellungen die Sehnsucht nach Ganzheit befriedigen.

Schamane, das kann im modernen Sprachgebrauch aber auch jemand sein, der - ohne „höhere Weihen“ - auf geistigen Grenzen wandelt oder eine Ganzheit schafft. Dieser Aspekt war es wohl, der vor über 20 Jahren den amerikanischen Literaturtheoretiker Stephen Greenblatt eine Parallele zwischen der Arbeit des Schamanen und seiner eigenen Lehrtätigkeit ziehen ließ. „Ich habe den Totengeistern geholfen zu sprechen, und ich habe meinen Studenten geholfen, ihre Worte zu verstehen und sogar auf gewisse Weise zu antworten“, schrieb er. Und kommentierte das eigene Pathos nur wenige Zeilen später voller Selbstironie: „Ein Mittelklasse-Schamane in Mantel und Krawatte!“

Inge Hüsgen

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